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26.06.2023

Wenn die Allergie zum Asthma wird

Etagenwechsel: Den will man bei Allergien unbedingt verhindern. Der Begriff wird verwendet, wenn sich aus einem Heuschnupfen plötzlich Asthma entwickelt. Allergologin Esther Steveling vom Universitätsspital Basel erklärt im Interview, wie es zum Etagenwechsel kommt und wie man das Risiko für Allergien senken kann.

Frau Steveling, rund um Allergien fällt immer wieder der Begriff Etagenwechsel. Was wechselt da von welchem Stock in welchen?

Esther Steveling: Von einem Etagenwechsel spricht man, wenn sich aus einem Heuschnupfen, also einer allergischen Rhinitis, zusätzlich ein allergisches Asthma bronchiale entwickelt. Das heisst: Die Allergie betrifft nicht mehr nur die oberen Atemwege, sondern auch die Lunge.

Von der Nase wandern die Beschwerden in die Lunge. Warum?

Unsere Atemwege, von der Nase in die Lunge, sind eng miteinander verbunden. Sie funktionieren als Einheit, ihre Zellen sind ähnlich und ihre immunologischen Prozesse, also Mechanismen des Abwehrsystems, ebenfalls. So ist es naheliegend, dass sich allergische Symptome sowohl in Nase als auch in der Lunge zeigen können. Bei der Lunge kommt aufgrund ihrer Anatomie hinzu, dass sich bei allergischem Asthma die Bronchien verengen – was schliesslich die typischen Atembeschwerden auslöst.

Warum tauchen die Beschwerden nicht gleichzeitig in Nase und Lunge auf, man atmet ja durch die Nase in die Lunge ein…

Das ist nicht ganz geklärt und tatsächlich kann der Etagenwechsel auch umgekehrt stattfinden. Studien zeigen, dass bei Kleinkindern häufig erst Asthma auftritt und später im Schulalter Heuschnupfen dazukommen kann. Bei Erwachsenen beobachten wir eher den Etagenwechsel von der Pollenallergie zum allergischen Asthma.

An welchen Symptomen erkenne ich einen Etagenwechsel?

Heuschnupfen ist mit juckenden Augen und laufender oder verstopfter Nase oft eindeutig zu erkennen. Bei der Lunge wird es schwieriger: Leitsymptom von Asthma ist ein Engegefühl in der Brust, auch nachts und bei körperlicher Aktivität. Die Leistungsfähigkeit kann herabgesetzt sein. Husten kann auftreten, er kann aber auch auf gereizte Atemwege hindeuten. Bei Kindern tritt oftmals eine keuchende Atmung auf. Für die korrekte Diagnose ist eine medizinische Abklärung nötig.

Wie sieht diese aus?

Nach der Aufnahme der Krankengeschichte wird die Lungenfunktion gemessen. Beim allergischen Asthma lässt sich dabei eine typische reversible Verengung der Atemwege erkennen.

Kommt es nur bei der Pollenallergie zum Etagenwechsel?

Nein, auch bei anderen Allergien. Zum Beispiel birgt eine Allergie auf Hausstaubmilben sogar ein grösseres Risiko für einen Etagenwechsel als Heuschnupfen. Aber auch bei Allergien auf Schimmelpilze kann das geschehen.

Tritt ein Etagenwechsel eher bei schwerer Allergie ein als bei leichter?

Es ist davon auszugehen, dass sich bei einer schweren allergischen Rhinitis auch eher ein bronchialer Effekt zeigen kann.

Was begünstigt einen Etagenwechsel?

Hat jemand eine Allergie auf Hausstaubmilben, tritt in der Folge öfters Asthma auf. Dasselbe gilt für häufige virale und bakterielle Infektionen der Atemwege und ebenfalls für häufige Behandlungen mit Antibiotika.

Erhöhen auch Faktoren aus der Umwelt das Asthmarisiko?

Ja. Passivrauchen, Schadstoffe und Luftverschmutzung.

Kann man sich davor schützen, dass aus einer Allergie ein Asthma wird?

Es gibt Massnahmen, die das Allergierisiko grundsätzlich senken. Etwa eine normale Geburt, bei der Bakterien des Mikrobioms der Mutter an das Baby übertragen werden. Auch Stillen während mindestens drei Monaten hat einen schützenden Effekt wie auch Mikroben und Endotoxine aus der ländlichen Umgebung: Es liegen Hinweise vor, dass Bauernhofkinder weniger Allergien und Asthma haben im Vergleich zu Kindern aus der Stadt. Auch ein Hund in der Familie scheint das Risiko für Atemwegsallergien zu reduzieren. In Bezug auf Nahrungsmittelallergien sollte man ab dem vierten Lebensmonat möglichst viele verschiedene Lebensmittel, die vertragen werden, verwenden und nicht etwa vermeiden.

Und in Bezug auf den Etagenwechsel: Kann ich Asthma verhindern, indem ich den Heuschnupfen behandle?

Wenn man Symptome in den oberen Atemwegen behandelt, hat das sicherlich einen positiven Effekt auf die unteren. Ob sich dadurch ein Asthma sicher verhindern lässt, lässt sich aufgrund der Datenlage nicht eindeutig belegen; da sind verschiedenste Faktoren im komplexen Zusammenspiel verantwortlich.

Bei wie vielen Menschen wandert die Allergie von der Nase in die Bronchien?

Auch dazu haben wir leider keine fundierten Daten – es gibt aber Hinweise darauf, dass etwa jede fünfte Person mit Pollenallergie auch ein allergisches Asthma hat. Besser untersucht ist der Verlauf vom atopischen Ekzem zum Asthma: Bei Kindern mit schwerem, langandauerndem atopischem Ekzem ist das Risiko, ein allergisches Asthma zu entwickeln, mehr als siebenfach erhöht.

Welche Behandlung ist am wirkungsvollsten gegen Heuschnupfen?

Die häufig erstgewählte Therapie sind Antihistaminika, am effektivsten hilft jedoch ein Nasenspray mit Kortison. Auch eine allergenspezifische Immuntherapie ist wirksam, sollten diese symptomatischen Therapien nicht ausreichen. Sie ist immer noch die einzige Therapie, die die Beschwerden langanhaltend reduzieren kann. Neuartig und sehr effektiv sind Biologika, die mittels gezielter Antikörper zum Einsatz kommen können. Die Behandlung passt der Arzt, die Ärztin individuell auf die Person an.

Und wenn dann doch Asthma entsteht: Was ist zu tun?

Asthma muss unbedingt therapiert werden. Wenn sich Symptome zeigen, sind die Bronchien schon entzündet und der Verlauf kann sich schnell verschlechtern, etwa wenn ein Infekt hinzukommt. Als Therapie kommen hauptsächlich Asthma-Sprays zum Einsatz. Diese enthalten bronchienerweiternde Substanzen sowie Kortison gegen die Entzündung in den Bronchien. Durch die Entzündung werden die Bronchien mit Schleim verlegt, was die Atembeschwerden verstärkt. Wichtig ist es, sowohl Enge als auch Entzündung der Bronchien zu behandeln. Besteht bereits ein allergisches Asthma, sollte eine allergenspezifische Immuntherapie besprochen werden – dies kann den Bedarf an Kortison vermindern.

Interviewpartnerin: Dr. med. Esther Steveling, Allergologin und Immunologin am Universitätsspital Basel. Privatsprechstunde in der HNO-Praxis Strub in Basel nach Vereinbarung.

Interview von Bettina Jakob, erschienen im aha!magazin 2023, das man kostenlos abonnieren kann.

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