Interview mit PD Dr. med. Caroline Roduit, Leitende Ärtzin Allergologie am Inselspital in Bern. Dieses Interview erschien zuerst auf doktorstutz.ch.
Die Diagnose atopische Dermatitis oder Neurodermitis ist für viele Eltern ein Schock. Wie können Sie ihnen die Angst nehmen?
Für Angehörige kann das eine grosse Belastung sein. Sie werden sehr früh mit einer chronischen Krankheit konfrontiert, die nicht einfach verschwindet, und es können keine klaren Auslöser benannt werden. Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, um den Eltern die Erkrankung ausführlich zu erklären. Dazu gehört auch, für jeden Patienten einen individuellen Behandlungsplan zu erstellen und diesen klar zu erläutern. Den meisten Kindern hilft eine lokale antientzündliche Therapie zusammen mit einer guten Basispflege für die Hautbarriere. Wir können die Eltern auch insofern beruhigen, dass sich der Zustand ab dem Schulalter deutlich verbessern wird. Man weiss auch, dass atopische Dermatitis, die im Kindesalter auftritt, nur selten bis ins Erwachsenenalter andauert. Allerdings gibt es Kinder, die auch als Erwachsene noch an der Hautkrankheit leiden. Da können wir auf gute Behandlungsmöglichkeiten hinweisen.
Werden die Eltern geschult, wie sie ihr Kind pflegen können?
Die Schulung ist ein ganz wichtiger Punkt. In verschiedenen Spitälern bieten spezialisierte Pflegefachleute Ekzem-Beratungen an. Die Stiftung aha! Allergiezentrum Schweiz setzt sich für über drei Millionen Menschen in der Schweiz ein, die von Allergien, Intoleranzen, Asthma oder Hautproblemen betroffen sind. Die Stiftung organisiert ebenfalls Neurodermitis-Elternschulungen. Dort können sich Familien auch austauschen. Ab einem gewissen Alter gibt es zudem Schulungen für die betroffenen Kinder selber.
Wie hoch ist der Anteil der Kinder, die eine genetische Veranlagung haben?
Der Anteil ist sehr hoch. Ein wichtiger genetischer Faktor ist die Mutation eines Gens, das für die Hautbarriere zuständig ist. 20 bis 50 Prozent der Kinder mit atopischer Dermatitis haben diese Mutation. Generell ist das Risiko bei einer Familie mit Allergien zwei bis drei Mal höher als bei Familien ohne Allergien.
Kann man die Krankheit heilen?
Nein, denn der Defekt der Hautbarriere bleibt. Aber die Chance, dass die atopische Dermatitis im Erwachsenenalter abklingt, ist gross. Betroffene haben weiterhin eine empfindliche Haut, sie ist aber bei den meisten nicht mehr so stark entzündet. 90 Prozent der Patientinnen und Patienten haben nur noch eine leichte Ausprägung der Krankheit.
Wie kann man verhindern, dass sich ein «atopischer Marsch» entwickelt und was ist das genau?
Kinder mit Neurodermitis haben ein deutlich erhöhtes Risiko, später an Nahrungsmittel- und Atemwegsallergien zu erkranken. Das ist der «atopische Marsch». Studien zeigen, dass bei einer guten Behandlung des Ekzems das Risiko für andere Allergien reduziert werden kann. Die richtige Ernährung hilft ebenfalls. Kinder mit einer gesunden und vielfältigen Ernährung im ersten Lebensjahr haben weniger Probleme mit späteren Allergien.
Was bringen die neusten Biologika?
Die Medikamente kommen bei mittel-schwerer Neurodermitis zum Einsatz. Sie verbessern die Hautbarriere und reduzieren die Entzündungen. Wie bei den Erwachsenen können gewisse Therapien auch bei Kindern eingesetzt werden. Es gibt schon einige Studien, die zeigen, dass mit den Biologika der «atopische Marsch» verhindert werden kann.