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14.03.2021

Covid-19-Risiko steigt bei starkem Pollenflug

Sind viele Pollen in der Luft, steigen die Infektionen mit dem SARS-CoV-2 an, wie eine internationale Studie zeigt. Das betrifft aber nicht nur Pollenallergikerinnen und -allergiker, sondern alle Menschen.

Daten aus 130 Regionen in 31 Ländern auf 5 Kontinenten zeigen: Das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, nimmt mit der Pollenbelastung zu. So erhöhte sich an Orten, in denen im Frühjahr 2020 keine Lockdown-Regelungen galten, die Infektionsrate im Schnitt um vier Prozent, wenn sich die Anzahl der umherfliegenden Pollen um 100 pro Kubikmeter Luft erhöhte. Bei bis zu 500 Pollen auf einen Kubikmeter Luft war sie mehr als 20 Prozent höher. Galten jedoch in den untersuchten Gebieten Lockdown-Regeln, halbierte sich die Zahl der Infektionen im Schnitt bei vergleichbarer Pollenkonzentration in der Luft.

Berücksichtigt wurden in der Studie der Technischen Universität München (TUM) und des Helmholtz Zentrums München 2020 Pollenbelastung, Sars-CoV-2-Infektionsraten, demografische Faktoren und Umweltbedingungen wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Bevölkerungsdichte.

Es werden weniger antivirale Stoffe produziert

Als Grund für den Anstieg an Covid-19-Infektionen geben die Forschenden Folgendes an: Wenn Pollen fliegen, wehrt der Körper Viren der Atemwege, die verantwortlich für Schnupfen und Erkältungen sind, nur reduziert ab. Sobald ein Virus in den Körper gelangt, produzieren infizierte Zellen normalerweise Signal-Eiweisse – auch bei SARS-CoV-2. Diese sogenannten antiviralen Interferone animieren benachbarte Zellen, ihre antivirale Abwehr ebenfalls anzukurbeln. Es werden Entzündungsreaktionen in Gang gesetzt, um die Eindringlinge zu bekämpfen.

Ist die Pollenbelastung nun hoch, werden neben Viren auch Pollen eingeatmet und es werden weniger antivirale Interferone produziert, und auch die heilsame Entzündungsreaktion wird beeinflusst. Das heisst: Atemwegserkrankungen können zunehmen und damit auch Covid-19-Fälle. Wichtig dabei: Es spielt keine Rolle, ob man Heuschnupfen hat oder nicht – alle sind gleich betroffen.

Zur Studie: A. Damialis, S. Gilles et. al.: Higher airborne pollen concentrations correlated with increased SARS-CoV-2 infection rates, as evidenced from 31 countries across the globe

Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), March 2021; DOI: 10.1073/pnas.2019034118

Interview zu Pollen und Covid-19-Risiko

Mit Prof. Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier, wissenschaftlicher Beirat von aha! Allergiezentrum Schweiz und Leiter der Allergiestation am Universitätsspital Zürich.

Warum reagiert der Körper schwächer auf Viren, wenn viele Pollen in der Luft sind? Warum produziert er weniger der hilfreichen antiviralen Stoffe?

Peter Schmid-Grendelmeier: Grund dafür sind bestimmte Verbindungen, die von den Pollen freigesetzt werden. Diese bewirken, dass das Immunsystem gehemmt wird. Dadurch werden beim Kontakt mit dem Virus weniger der antiviralen Interferone ausgeschüttet und in der Folge steigt die Anfälligkeit für Atemwegsinfekte.

Spielt dieser Mechanismus auch bei anderen Viren eine Rolle, ist dies bekannt?

Ja, dieser Zusammenhang ist auch bei anderen Viren, die die Atemwege befallen können, den so genannten Rhinoviren, bekannt.

Ab welchen Pollenkonzentrationen ist die Anfälligkeit für eine Covid-19-Infektion erhöht?

Die Studie gibt an, dass die Infektionsrate an Orten, in denen keine Lockdown-Regelungen galten und bis zu 500 Pollen pro Kubikmeter Luft umherflogen, im Schnitt um mehr als 20 Prozent höher war. Unter Lockdown-Bedingungen halbierten sich diese Infektionsraten. Es sind aber dazu unbedingt weitere Studien nötig: Denn die Beziehung zwischen Umweltfaktoren und Gesundheit sehr komplex ist und erfordert für das ganze Verständnis langfristige Beobachtungen.

Offenbar betrifft das höhere Covid-19-Risiko alle Menschen. Warum nicht nur Pollenallergikerinnen und -allergiker, die ja auf Pollen reagieren?

Bei einer Pollenallergie sind beim Immunsystem ganz andere Prozesse in Gange als bei der Abwehr von Viren. Darum betrifft es auch Nicht-Allergiker.

Können Sie diese Mechanismen genauer erklären?

Bei der Abwehr von Viren kann schon eine leichte Schwächung des Immunsystems – wenn etwa weniger Interferon gebildet wird – anfälliger für eine virale Infektion machen. Das kann alle Personen betreffen. Bei Allergien hingegen reagiert das Immunsystem nicht zu schwach – im Gegenteil: Es ist fehlgeleitet und reagiert übermässig auf eigentlich harmlose Stoffe wie eben Pollen. Diese Überreaktion löst dann die Allergiesymptome aus. Dieser Fehlleistung liegen andere Botenstoffe zugrunde als bei der Virusabwehr und sie tritt nur bei Personen mit einer Neigung zu Allergien auf.

Was empfehlen Sie uns präventiv zu tun?

Wie schon die Autorinnen und Autoren der Studie raten, hilft es sicher, hohen Pollenbelastungen aus dem Weg zu gehen. Das heisst, in den kommenden Monaten sollte man die Pollenbelastung gut verfolgen. Etwa über die Pollen-News-App oder auf www.pollenundallergie.ch von aha! Allergiezentrum Schweiz. Auch die Fenster nicht durchgängig offenzuhalten, ist sicher ein Vorteil. Bei hohen Konzentrationen schützen uns chirurgische Masken, die wir aus dem Pandemie-Alltag kennen. Sie filtern Viren und Pollen gleichermassen. Insbesondere Covid-19-Risikopatienten sollten sich aber verstärkt vor hohen Pollenbelastungen schützen.

Wann sind die Pollenbelastungen am höchsten, welche Rolle spielen dabei Ort, Tageszeit und das Wetter?

Pollen können zu jeder Tages- und Nachtzeit in hohen Konzentrationen in der Luft sein, sowohl in der Stadt wie auf dem Land. Abhängig ist die Pollenbelastung hauptsächlich von der Wetterlage: Herrscht über mehrere Tage sonniges Wetter, bleiben die Konzentrationen auch in der Nacht sehr hoch. Kurz vor einem Gewitter steigt die Pollenkonzentration ebenfalls an – während sie schliesslich nach längerem Regen abnimmt.

Wann fliegen denn welche Pollen?

Die Haselpollen machen den Anfang und können schon im Januar fliegen. Es folgen Erle und im April Birke und Esche. Rund 70 Prozent der Pollenallergikerinnen und -allergiker reagieren auf Gräserpollen, die dann im Mai und Juni ihre Hochsaison haben und bis in den Herbst hinein blühen. Im August und September blüht zudem die stark allergene Ambrosia. Die aktuellen Daten sind auf www.pollenundallergie.ch zu finden.

Wie steht es mit Sport im Freien: Gerade in der Pandemiezeit treibt man ja oft draussen Sport und nun fliegen die Pollen, die das Risiko einer Corona-Infektion verstärken. Muss ich nun aufs Joggen verzichten?

Nein, keineswegs. Draussen im Wald oder auf einer Wiese mag zwar die Pollenbelastung höher sein, aber das Risiko sich dort mit dem Corona-Virus anzustecken ist gering. Natürlich nur, wenn diese Aktivitäten einzeln oder mit ausreichend Abstand erfolgen. Das Maskentragen würde zwar helfen, ist aber beim Ausdauersport eher unrealistisch. Kommt man von der Outdoor-Aktivität zurück, sind dann wieder die bekannten Vorsichtsmassnahmen wichtig: Social Distancing, Maskentragen und Händedesinfektion.

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